Holger Lund (2015): „Make It Real & Get Dirty!“

Author: Holger Lund
Full Title: Make It Real & Get Dirty! Zur Entwicklung postdigitaler Ästhetiken im Musikvideo
Published: August 2015
Language: German / Deutsch
Pages: 10

For an english translation of this text see Lund (2017): „Make It Real and Get Dirty! On the Development of Post-digital Aesthetics in Music Video.“

Citation: Lund, Holger (2015): „Make It Real & Get Dirty! Zur Entwicklung postdigitaler Ästhetiken im Musikvideo.“ In: Kulle, Daniel/Lund, Cornelia/Schmidt, Oliver/Ziegenhagen, David (Hrsg.): Post-digital Culture, http://www.post-digital-culture.org/hlund.

pdficon_large [Download PDF]


Abstract

Wenn das „Echte“ des Analogen im indiskreten Kontinuum von Werten steckt, etwa akustischen, visuellen und haptischen Werten, so wächst mit der zunehmenden Digitalisierung so vieler Lebensbereiche, bei der alles in den binären, diskreten Code des Digitalen zerlegt wird, das Bedürfnis, jenes echte, unzerteilte Ganze nicht zu verlieren. Dazu wird entweder wieder analog vorgegangen, wovon in Musik und Video etwa die Rückkehr zu Analogsynthesizern und Bastelästhetik kündet, oder Analogizität wird digital simuliert, etwa mit digitalen Simulationen von Analogsynthesizern und Bastelästhetik. Das Ergebnis der Umfrage der Softwarefirma Ableton nach dem beliebtesten Soundpreset der Software Live 8 lautete 2013: das akustische Klavier. Selbst Zalando und Ebay, die unvermutet tatsächliche Laden-Shops eröffnet haben, werden „echt“, anfassbar, ansprechbar, unzerteilte Materie. Der Grad der Digitalisierung scheint also soweit fortgeschritten, dass parallel dazu das postdigitale Zeitalter als Re-Analogisierung bereits begonnen hat.

Diese Entwicklung betrifft auch das Musikvideo, lässt sich an ihm ablesen. Und das sogar recht früh. Vermutlich deshalb, weil die Digitalisierung die Musik schon viel früher als andere Lebensbereiche erfasst hat. Erkennbar digitale Bildwelten, wie sie eigentlich so gut zu digital basierter Musik passen, konnten sich nicht wesentlich über die 2000er hinaus halten. Dann verlangte selbst die Avantgarde digitaler Musik langsam aber sicher verstärkt nach Visualisierungen ihrer Musik, die Züge des Analog-Handgemachten aufweisen oder vollständig daraus bestehen. Papier und Pappe, Schere und Stift halten Einzug in die Musikvideos, Polaroid und Super-8-Look erscheinen, Maschinen und technoide Futurismen werden mit Landschaften und Tiere ergänzt oder sogar davon verdrängt. Eine Ästhetik des „handmade-digital“ entwickelt sich, die nun ihrerseits ihre eigene Postdigitalität reflektiert: als paradoxer, computergenerierter oder -gestützter Versuch, das unzerteilte echte und reale Analoge mit den Mitteln der Echtheit und Realität zerteilenden Digitalität zu bekommen. Jedoch: vielleicht liegt gerade in diesem paradoxen Bemühen auch eine neue „Realness“?

About the Author

Holger Lund arbeitet als Kunst- und Designwissenschaftler sowie als Kurator und DJ. 2008 bis 2011 vertrat er die Professur für Theorien der Gestaltung (Hochschule Pforzheim), seit 2011 ist er Professor für Mediendesign (DHBW Ravensburg). Er kuratierte zahlreiche Screenings und Ausstellungen und betreibt das Vinyl-Label Global Pop First Wave (Berlin). Zusammen mit Cornelia Lund leitet er seit 2004 die unkommerzielle und unabhängige Medienkunstplattform fluctuating images e.V. Diese ist seit 2009 Mitglied bei General Public/disk e.V. (Berlin). Er ist Co-Herausgeber von Audio.Visual – On Visual Music and Related Media, Stuttgart 2009 (Arnoldsche) und Design der Zukunft, Stuttgart 2014 (avedition).